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Was lange währt: Der Gesellschaftswagen ist fertig

  • Ein weiteres Großprojekt der LEL hat in diesem Jahr seinen erfolgreichen Abschluss gefunden: Die Grundrenovierung des ehemaligen Theaterwagens AB4yg 34 039, der 2007 seinen Weg aus Hamm ins Extertal fand. Entstanden ist eine einmalige Kombination aus originalem Sitz- und funktionalem Mehrzweckabteil auf Basis eines Bundesbahn-Umbauwagens.

    Begonnen hatte alles mit der Initiative des damaligen Vorstandes, der über seine Kontakte nach Hamm den alten Wagen ausfindig gemacht hatte. Bis 1987 hatte er im regulären Personenzugdienst der Bundesbahn gestanden, wonach er ab 1989, mit Bühne und Bar ausgerüstet, als Theaterwagen durch die Lande rollte. Mitte der 1990er Jahre übernahm die Stadt Hamm den Wagen und hinterstellte ihn schließlich als stationäres Theater im dortigen Bahnhofsgelände.

  • In den Köpfen des damaligen LEL-Vorstandes schwebte immer noch die alte Idee herum, den Heckeneilzug um einen Multifunktionswagen zu erweitern, der im alten Gewand Platz für neue Ideen und Attraktionen bieten könnte, etwa als Gesellschafts- oder Tanzabteil. Solche Planungen hatte es weiland bereits für den Halbgepäck-Umbauwagen gegeben, doch sie hatten sich – glücklicherweise – nie realisiert. Denn dieser Wagen ist in seiner vorhandenen Form bis heute unverzichtbar für den weithin bekannten Gastronomieservice der LEL. Also wurde der Theaterwagen aus seinem Dornröschenschlaf geweckt und im Oktober 2007 durch eine Lok von DB Schenker unter der Hand unseres Vereinsmitgliedes Wolfgang Osthues zunächst nach Lemgo überführt. Dort fand der Wagen eine Zwischenabstellung an der alten Laderampe, wo er erstmals von LEL-Aktiven begutachtet werden konnte. Vorläufiges Fazit: Es gibt viel zu tun! Einige Fenster waren bereits zerschlagen, der Innenraum glich einem Trümmerfeld. So hieß denn auch die erste Amtshandlung nach der Waggonüberführung ins Extertal zunächst einmal Aufräumen. Innerhalb eines Nachmittages sammelten sich unzählige Säcke mit Abfällen der verschiedensten Ursprünge, die die Aktiven aus allen Ecken des Wagens zusammensuchten.

  • Der ursprüngliche Grundriss des Wagens sah ein Großraumabteil 2. Klasse in Standardaufteilung sowie eine Wagenseite für die 1. Klasse vor, wobei dort der Sitzteiler großzügiger (vier statt fünf Seitenfenster), die Anordnung 4+2 und der Großraum nochmals durch eine Trennwand in Raucher- und Nichtraucherabteil unterteilt war. Die DB hatte nach den letzten Umbauten hiervon freilich nicht mehr viel übrig gelassen. Am 2.-Klasse-Wagenende befand sich ein hölzerner Bühnenaufbau mit bis zur Decke reichender Verkleidung für den Vorhang, während der restliche Teil des Großraumabteils weitgehend geplündert war. Auch vom Abort war nicht mehr viel zu sehen und im 1.-Klasse-Teil befand sich eine Bar mit Theke, Kühlschrank und Wasseranschluss. Dies hatte den Wagen entsprechend auch hier seine Bestuhlung und die Trennwand gekostet. Originale Details fanden sich aber hier und da auch noch, zum Beispiel die Durchgangstür mit der „1“ vom Mitteleinstieg in die ehemalige 1. Klasse.

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    Die Aktiven der LEL entwickelten nun ein Konzept, wie die Aufarbeitung des Gesellschaftswagens, wie das Fahrzeug im Hinblick auf seine künftige Nutzung bereits intern betitelt wurde, zügig und systematisch vorangehen sollte. Besonderes Augenmerk war zunächst auf den alten 2.-Klasse-Teil zu richten, denn hier sollte das neue zentrale Mehrzweckabteil entstehen. Andererseits war hier das rechnerische Maximum an Sitzplätzen verborgen – eine wichtige Kalkulationsgröße insbesondere auf nachfragestarken Fahrten, die eine möglichst gute Auslastung eines jeden Wagens erfordern. Im Übrigen befinden sich auf dieser Seite die für den gesamten Wagen wichtigen Betriebseinrichtungen wie Heizung, Sicherungskasten und die – noch zu DB-Zeiten eingebaute – Klimaanlage. Die wollten die Aktiven natürlich gerne wieder in Betrieb nehmen, denn wer sonst konnte seinen Fahrgästen in einem Umbauwagen schon derartigen Komfort bieten?

    Im Jahr 2008 legten 15 Studenten der Fachhochschule Lemgo Konzepte für ein solches Mehrzweckabteil vor. Die LEL hatte ihren Wagen und die Umbaupläne dem FH-Kurs „Innenraumgestaltung“ als Seminarthema zur Verfügung gestellt. Aus den schöpferischen Werken konnten die Aktiven dann Ideen ableiten und schließlich zu einer Gestaltungslösung kommen: So würde sich das Design der Seitenwände relativ dunkel in Holzoptik darstellen, mit einer hellen Zwischendecke und weitgehend indirekter Beleuchtung. Fest bestuhlt würde das Abteil nur im vorderen Bereich vom Mitteleinstieg, zum Wagenende hin bliebe der Raum frei für eine multifunktionale Nutzung. An dieser Seite soll dann möglichst der Speisewagen gekuppelt werden.

    Einigkeit bestand von Anfang an hinsichtlich der 1.-Klasse-Seite: Wiederherstellung des originalgetreuen Zustands. Freilich mit immer mehr Kompromissen, wie sich gerade in der Endphase der Aufarbeitung noch zeigen sollte.

  • Mit dem Ziel vor Augen, den Gesellschaftswagen zur Fahrt an den Rennsteig im Mai 2010 erstmals einsetzen zu können, begaben sich die LEL-Aktiven also an die Umsetzung der ehrgeizigen Planungen. Zunächst wurde das Wageninnere vollständig entkernt, verschmutztes und verbrauchtes Material entsorgt. Während die gesamte Bordelektrik erneuert und in einem kombinierten Heizungs- und Schaltschrank zentralisiert wurde, machten sich andere unter dem Wagen an Fahrwerk und Bremse zu schaffen, denn auch diese Teile wollten gereinigt, aufgearbeitet und neu abgenommen werden. Im Gegensatz zu den beiden anderen LEL-Umbauwagen verfügt der Gesellschaftswagen übrigens über Minden-Deutz-Leichtdrehgestelle mit Tiefanlenkung, die damals komfortabelste Variante, die nur noch bei der letzten Bauserie AB4yg zum Einsatz kamen.

    Es folgte die Wärmeisolierung des 2.-Klasse-Teils sowie die Revision aller dort befindlichen Fenster. Einige mussten neu verglast werden, andere benötigten Richtarbeiten an den durch Feuchtigkeit verzogenen Rahmen. Daneben stand eine Grundsanierung des Aborts an. Der Frischwassertank, in den DB-Umbauwagen unmittelbar über der Toilettenzelle platziert, war gerissen und musste vollständig ausgebaut und aufgearbeitet werden – ein Arbeitsschritt, der zuvor nicht einkalkuliert war und so die Fertigstellung zumindest der Toilette erheblich verzögerte.

  • Dafür gab es am Wagenäußeren große Fortschritte, denn die Aktiven wollten insbesondere die schäbigen und durch Graffiti zu Vandalismus einladenden Seitenwände bearbeiten. Das vorhandene Dunkelblau stand nicht mehr zur Debatte – die LEL hatte sich zum Glück ja nun gerade erst wieder von den blauen Umbauwagen verabschiedet – sodass nur noch das originale Flaschengrün oder aber Purpurrot, ähnlich wie der Speisewagen, zur Wahl standen. Nach einigem Hin und Her war die Entscheidung zu Gunsten des Rot gefallen, mit weißen Zierstreifen und silbernem Dach. Der Wagen sollte ja in erster Linie als Gesellschafts- und Salonwagen genutzt werden und diese haben sich in der Vergangenheit immer durch eine rote Farbgebung von gewöhnlichen Sitzwagen abgehoben. Außerdem konnte sogar auf eine historische Parallele verwiesen werden, denn rote Umbauwagen (24 Stück) gab es auch bei der DB: Sie fuhren als Mittelwagen in Zügen der Baureihe 465. Eine Garnitur ist in Süddeutschland bis heute museal erhalten und betriebsfähig. Noch im Sommer 2009 konnte zumindest die rote Grundfarbe am Wagen angebracht werden; in diesem Zustand wurde er dann auch bei der großen Begatal-Eröffnung auf dem Bahnhofsfest in Dörentrup präsentiert.

  • Über den Winter 2009/2010 gingen die Arbeiten im 2.-Klasse-Teil weiter. Zwar konnte im Mai 2010 die bahnamtliche Abnahme erfolgen, jedoch war eine Teilnahme des Wagens an der Rennsteig-Fahrt nicht wie geplant möglich. Unter anderem der Abort war wegen der geschilderten Probleme nicht mehr rechtzeitig fertig geworden. Dafür bestand nun kein unnötiger Zeitdruck mehr und so wurden zunächst auch die leistungsfähige Heizung mit extragroßem Dieseltank und die Klimaanlage wieder funktionstüchtig gemacht. Außen erhielt der Wagen auch endlich seine Zierstreifen mit passender Werbung der Brauerei Strate sowie dem Hoheitszeichen seines Wagenpaten, der Stadt Detmold.

  • Die erste große Reise tat der Wagen quasi als Betriebsfahrt am 29. Juli 2010, als es mit Mittelweserbahn-V100 und dem Speisewagen nach Hannover ins Ausbesserungswerk Leinhausen ging. Hier sollten die Radsätze des Speisewagens abgedreht werden, während der Gesellschaftswagen einfach nur zur Belastungsprobe mitlief. Diese bestand er glänzend.

    Wie sinnvoll die bisherige Außerachtlassung des 1.-Klasse-Bereichs war, zeigte sich, als ab November 2010 der Speisewagen 1122 aufgrund seines Fristablaufs für längere Zeit aus dem Betrieb genommen werden musste. Der Thekenbereich des Gesellschaftswagens wurde nun als Ersatz herangezogen – und wurde bereits auf den Nikolausfahrten allen Erwartungen gerecht. Selbst sitzen konnten die Fahrgäste im ehemaligen 1.-Klasse-Bereich schon wieder, auf provisorisch dort montierten Bänken.

    Nach der Wiederinbetriebnahme des Speisewagens Ende 2011 begann als letzter Bauabschnitt die Entkernung des 1.-Klasse-Bereichs. Theke, Versorgungsleitungen, Sitze, Wand- und Fußbodenplatten wurden herausgerissen. Sämtliche hierbei stellenweise zutage tretenden Rostlöcher, insbesondere in der Boden- und in den unteren Bereichen der Wandbeblechung, konnten fachmännisch geschweißt und im Anschluss sauber mit Holz verkleidet werden. Auch in diesem Abteil wurden Fenster und Rahmen einer genauen Prüfung und ggf. Reparatur unterzogen. Ansonsten würde nach kurzer Zeit durch die verzogenen Fensterrahmen Regenwasser in den Wagen eindringen, hinter die neuen Verkleidungen fließen und das gesamte Werk wieder zerstören.

  • An einer Wagenseite entlang wurde ein neuer Heizungskanal gebaut und auch entsprechend verkleidet. Die endgültigen neuen Wandplatten weisen, so nah wie möglich am Original, eine dunkelbraune, leicht gemaserte Holzstruktur auf. Im Gegensatz zum Mehrzweckabteil fanden an der Decke keine weiteren Arbeiten statt. Dafür wurde auch der Fußboden komplett neu verlegt. Ihn ziert jetzt ein pflegeleichter dunkelgrauer PVC-Belag.

    Immer wieder mussten die Bauarbeiten unterbrochen werden, weil das Mehrzweckabteil des neuen Wagens bei Fahrten der LEL gebraucht wurde – für das Grünkohlbuffet, allein der weiteren zehn Plätze wegen oder einfach als Personalwagen auf langen und arbeitsintensiven Fahrten. So rollte der Gesellschaftswagen schon zweimal mit nach Goslar, einmal noch mit bewirtschafteter Theke zum Glühweinausschank, das andere Mal mit provisorisch vernagelter Baustelle in der ehemaligen 1. Klasse, die mit zwei Stehtischen versehen wurde und ansonsten als Personalabteil diente.

    Die Diskussion war eröffnet, als es um die Frage der Sitzplätze ging. Während für die wenigen Sitzplätze im Mehrzweckabteil weiße Kunstlederpolster angeschafft worden waren, sollte hier ein original türkisfarbener Polsterstoff zur Anwendung kommen, ergänzt um Armlehnen und Ohren an jedem Sitz. Es gelang der LEL, zumindest eine komplette Sitzgruppe (4+2) in genau dieser Bauart zu ergattern. Ansonsten blieben leider nur abweichende Sitzgestelle in der Anordnung 3+3 aus ehemaligen Abteilwagen. Zudem wird auch jetzt keine Zwischenwand mehr in den Raum eingesetzt, wie sie einst Raucher von Nichtrauchern trennte. Im September 2013 konnten die Aktiven die ersten Sitze an ihre endgültigen Standorte schrauben.

  • Nach einigem Tüfteln gelang es schließlich aber doch noch, aus den 3er-Sitzgestellen eine 4+2-Bestuhlung zu bauen. Genügend Ersatzpolster für die neu entstehenden Seitenabschlüsse waren ebenfalls vorhanden und im Laufe des vierten Quartals 2013 wuchs die Inneneinrichtung des Abteils Woche für Woche weiter. Bereits vor den Nikolausfahrten im Dezember wäre das 1.-Klasse-Abteil grundsätzlich benutzbar gewesen – es fehlten allerdings noch Tische für die Bewirtung am Platze. Auch hierüber hatte es bereits Debatten gegeben, stellt sich doch an derartigen Details auch immer die allgemeine Frage, wie viel museale Originalität sich die LEL erlauben kann angesichts der Anforderungen, die das Serviceangebot an die Fahrzeugeinrichtung stellte. So verfügen bekanntlich alle Wagen über Tische, von denen die Fahrgäste Kaffee, Kuchen oder auch größere Mahlzeiten einnehmen können. Die 1. Klasse eines (damaligen) Eilzug- und Nahverkehrswagens wies solche Spielereien natürlich nicht auf und der durch die neuen Polstersitze gerade gewonnene Reisekomfort würde durch ein “Verbauen” des Fußraums mit Tischen direkt wieder verringert.

  • Jedoch wurde in der Vergangenheit auch bei anderen größeren Wagenprojekten der LEL immer der Weg eines Kompromisses zwischen Originalität und den Anforderungen an ein modernes Museumsbahnerlebnis gegangen. So ist auch der vollständig restaurierte Abteilwagen in dieser Hinsicht letztlich nur teiloriginal und in wesentlichen Bereichen ein Neubau mit bewusst eingefügten modernen Elementen wie der Wickeltoilette, der modernen Gangbeleuchtung oder eben den Speisetischen. Erfordernisse, die der „moderne“ Fahrgast aufstellt, wenn er nicht „nur“ Eisenbahn fahren, sondern dabei auch ein vielfältiges gastronomisches Erlebnis haben möchte.

    Die Aktiven werden die erste Jahreshälfte 2014 also voraussichtlich dazu nutzen, auch das 1.-Klasse-Abteil des Wagens mit Tischen oder zumindest mit vergleichbaren Möglichkeiten, Mahlzeiten bequem am Platz einnehmen zu können, auszustatten, um die neu gewonnenen Sitzplätze zu allen LEL-Erlebnisfahrten vermarkten zu können.

    Bis dahin dürfen aber alle Mitwirkenden zufrieden sein mit dem, was sie in jahrelanger Arbeit aus dem alten “Theaterwagen” gemacht haben. Denn der rollt nun wieder mit volle Kapazität durch Lippe und dient bereits seit einigen Monaten erfolgreich als neuer Stützpunkt für den Fahrgastservice im Zug.

    Raphael und Golo Kahlert im Oktober 2013