, Magazin

„Jugend unter Dampf“ im Gepäckwagen von 1929

  • Im Jahre 2008 entstand, parallel zu den Bemühungen um die Reaktivierung der Begatalbahn für den durchgehenden Museumsbahnverkehr, die Idee für ein Projekt der eher ungewöhnlichen Art: Mit „Jugend unter Dampf“ sollten Jugendliche aus der Region im Rahmen eines offenen Zentrums zu sinnvoller Beschäftigung und so auch ganz nebenbei an die in der Region eher in Vergessenheit geratene historische Eisenbahn herangeführt werden.

    Grundgedanke der damaligen Initiatoren Jochen Brunsiek und Thorsten Försterling war ein speziell auf die Gemeinde Dörentrup zugeschnittenes Angebot, dessen Kern in der Aufarbeitung eines alten Eisenbahnwaggons zum mobilen Jugendraum darstellen sollte. Dieser Waggon sollte gleichzeitig von Aktiven der LEL technisch so aufgearbeitet werden, dass er jederzeit bei Fahrten im eigenen Netz oder auch – damals kam diese Angebotsform gerade auf – deutschlandweit eingesetzt werden könnte.

  • Die anfänglichen Planungen bekamen ihre ganz konkrete Gestalt am 18. Oktober 2009, als der von den Eisenbahnfreunden Hanau bei Frankfurt (Main) gekaufte, 1929 gebaute vierachsige Schnellzuggepäckwagen „Pw4ü 105 240 Frankfurt“ ins Begatal gebracht wurde. Das Fahrzeug befand sich in einem seit der Außerdienststellung im Jahr 1983 weitgehend unberührten Zustand, war aber immerhin noch fahrfähig. Lok V100 01 der Ilmebahn mit Lokführer der Mittelweserbahn und Streckenlotsen der Eurobahn brachte den Ein-Wagen-Zug zunächst bis Lemgo-Lüttfeld und von dort direkt weiter über das zu diesem Zeitpunkt bereits vollständig freigelegte Streckengleis bis zum Bahnhof Farmbeck, der ebenfalls vor Kurzem wieder in Betrieb genommen worden war und dessen Ausbau zur „Bahnmeisterei“ und zweitem Werkstattstandort der LEL unmittelbar bevorstand. Hier sollte der „neue“ Wagen mitsamt dem Jugendprojekt seine Heimat finden. Bereits bei dieser Überführungsfahrt zeigte sich, wie sehr die Jugendlichen der LEL sich dieses Projekt zu eigen gemacht hatten. Einige waren schon seit Frankfurt an Bord des Zuges, andere warteten gespannt in Lemgo oder Farmbeck auf sein Eintreffen, halfen je nach Ausbildungsstand bei den Rangierarbeiten oder nahmen schon mal den Innenraum des Wagens in Augenschein. Es war unschwer zu erkennen, dass hier eine Menge Arbeit auf LEL und die Kooperationspartner von „Jugend unter Dampf“ wartete, bevor das Ziel, der Jugendraum im Bahnhof Farmbeck, tatsächlich erreicht würde. Doch die Projektleiter strahlten allein ob der Tatsache, dass die Anschaffung und Überführung des neuen Wagens so gut geklappt hatte, einen gesunden Optimismus aus.

  • Der neue „Jugendwagen“, wie er im LEL-Arbeitskreis schnell genannt wurde, blieb allerdings nicht lange in Farmbeck. Statt seiner diente zunächst ein vom damaligen 1. Vorsitzenden der LEL privat angeschaffter und in Farmbeck hinterstellter Bauzug-Schlafwagen als provisorische Jugendunterkunft. Zu umfangreich waren die anstehenden Arbeiten und zwecks Vereinfachung und Beschleunigung der Abläufe sollten die betrieblich-technischen Aufgaben ausschließlich in der Betriebswerkstatt in Bösingfeld ausgeführt werden. Nur dort war genug Menpower und das nötige technische Equipment vorhanden und der Wagen ließ sich sinnvoll in die regelmäßige Samstagsarbeit integrieren.

    Im Hintergrund erwarb der HVEEL (gemeinnütziger Trägerverein der LEL) das Eigentum an dem Fahrzeug, wodurch nun die Möglichkeit bestand, gezielt Spenden für das neue Vorhaben zu werben. In enger Zusammenarbeit erwirtschafteten LEL und HVEEL auf diese Weise bis ins Jahr 2013 externe Gelder in Höhe von insgesamt ca. 45.000 Euro, die umgehend in eine kompetente Aufarbeitung außen wie innen investiert werden konnten.

     

Doch am 20.11.2009 wurde zunächst einmal gefeiert – und zwar die Sponsoren selbst. Im Rahmen einer ersten Präsentation des Fahrzeugs durch LEL und Vertreter des Projekts „Jugend unter Dampf“ in Anwesenheit des Schirmherrn Landrat Friedel Heuwinkel bestand die Möglichkeit, dass sich jeder Spender selbst davon überzeugen konnte, wo sein Geld hingehen würde. Im Anschluss konnte dann bereits in die zukünftige Jugendarbeit hineingeschnuppert werden, als einige junge LEL-Aktive den „Blog-Führerschein“ für „Jugend unter Dampf“ erwarben und das Projekt nunmehr immer aktuell in den neuen Medien präsentieren werden. Auf Dauer ist geplant, den Waggon mit Arbeitsplätzen zum Basteln und Zeichnen, einer Kochnische und Internetplätzen auszustatten. So entsteht ein fahrbares Zentrum, ein Ort zum Basteln, „Chillen“ und mal woanders hinfahren – zum Beispiel auf einer LEL-Fernfahrt. Anlässlich der Sponsoren-Präsentation wurde auch die Internetseite www.jugend-unter-dampf.de ins Leben gerufen, auf der es seither für jeden Interessierten alle Informationen rund um Projekt und Waggonausbau gibt. Bereits zuvor und auch im folgenden Winterhalbjahr liefen die technischen Arbeiten an dem Wagen auf Hochtouren. Vor der Rennsteigfahrt der LEL im Mai 2010 wurde die gesamte Bremsanlage geprüft sowie auf einer Seite der erste Gummiwulst-Übergang neu eingeschweißt. Da aber drei der vier Puffer die erforderliche Kontrolle nicht bestanden, war an die ursprünglich geplante Premierenfahrt des Wagens an den Rennsteig jedoch nicht mehr zu denken. Die aufgearbeiteten Puffer standen erst im Juni zur Verfügung. Bis Ende des Jahres erhielt der Wagen zudem noch reichlich neue Bleche eingeschweißt. Parallel wurden immer wieder Teilflächen der Außenhaut sowie je nach Bauzustand auch Unterflurteile entrostet und zwischen- oder endlackiert. Ein Großteil der Außen- und Lackierungsarbeiten wurde dank der Farbspende der Fa. Caparol sowie durch die Beschäftigungsmaßnahme „Museumsbahn Nordlippe“, welche durch das Netzwerk Lippe finanziert und die Euwatec gGmbH angeleitet wurde, ermöglicht.
  • Noch im Dezember 2010 wurde außerdem das betriebliche Herzstück des Wagens, ein leistungsfähiges 12kW-Stromaggegat mit Dieselmotor, angeschafft. Hierin liegt für die LEL ein Meilenstein, denn dieses Aggregat ist ohne Weiteres in der Lage, zu jeder Jahreszeit den gesamten Reisezug bei vollem Servicebetrieb (z. B. Kühlschränke oder Würstchenkocher) mit elektrischer Energie zu versorgen. Noch dazu erhöht sich die Arbeitssicherheit maßgeblich, denn statt wie bisher im zweiachsigen und nur bei Stationshalten von außen zugänglichen Güterwagen 30 kann die Kontrolle des Aggregats jetzt bequem während der Fahrt erfolgen, indem das Zugpersonal einfach den Gepäckraum des neuen Wagens aufsucht. So wurde denn auch Anfang 2011 der Einbau dieses Geräts samt notwendiger elektrischer Verkabelung für die Zugversorgung forciert. Hierzu wurde nach Maß eine hölzerne Einhausung gefertigt, in den großen Gepäckraum also gleichsam eine neue Zelle eingefügt. Durch eine Tür und große Wartungsklappen bleibt das Aggregat – übrigens mit einem Gabelstapler in den Wagen gewuchtet und in Position gebracht – von allen Seiten gut zugänglich. Ferner wurde eine bewegliche Lagerung auf Gummifüßen eingerichtet, um die Vibrationen des Waggons gegen das Gerät abzufedern. Eine Schall- und Wärmeisolierung des neuen Generatorraumes tat ein Übriges. Zusätzlich begannen bereits die Planungen für einen größeren Dieseltank unter dem Waggon, da der Vorrat des Generators auf längeren Fahrten bei Volllast schnell erschöpft sein würde.

  • Im Innenraum nahmen neben der Generator-Einhausung auch die Wand- und Fußbodenverkleidung Form an. Unter der fachkundigen Anleitung des eigens im Rahmen dieses Projekts für die LEL angeworbenen Tischlermeisters Stefan Spiegel aus Aerzen wurden zahlreiche Platten passgenau verlegt und auf diese Weise eine spätere vielseitige Nutzung des Innenraums für alle nur denkbaren Zwecke der Jugendarbeit ermöglicht.

    Im November 2011 begann schließlich der betrieblich aufwändigste Teil der Jugendwagen-Instandsetzung: Die beiden zweiachsigen Drehgestelle Bauart Görlitz II schwer wurden in einer großen Aktion unter Einsatz der Hubanlage in der VBE-Werkstatt ausgebaut und durch Tauschteile, die der LEL freundlicherweise von den Eisenbahnfreunden Lengerich zur Verfügung gestellt worden waren, provisorisch ersetzt. Danach folgte die umfassende Zerlegung der Radsätze zwecks betriebssicherer Aufarbeitung jedes einzelnen Teils; immerhin sollte der Wagen ja seine ursprüngliche Reisegeschwindigkeit von 120 km/h wieder erreichen können. In diesem Zuge erhielten insbesondere die im Rahmen des Jugendprojekts geworbenen Jung-Aktiven der LEL einen ersten und umfassenden Einblick in die Technik eines Eisenbahnwaggons, die (nicht nur) dem Fahrgast ansonsten verborgen bleibt. Zum Abschluss erhielten die Drehgestelle eine großzügige Entrostungskur und einen schwarzen Neuanstrich, was allein mehrere Wochen in Anspruch nahm – und das, obwohl die Werkstatt an diesen Tagen einem Bienenstock glich, weil so viele Aktive gleichzeitig an den Wagenteilen werkelten.

  • Gegen Ende des Jahres 2012 war es endlich soweit: Der Wagen hatte seine alten Drehgestelle wieder, die Bremsanlage war komplettiert und alle Einzelteile wieder zusammengesetzt. Auch der Generator war angeschlossen und stand nach einigen Probeläufen nun zum Einsatz bereit. Am 30. November 2012 erschien der verantwortliche Sachverständige zur bahntechnischen Abnahme, wozu eigens eine Probefahrt unter Belastung und im Verbund mit dem gesamten Wagenzug auf der Begatalbahn durchgeführt wurde. Ergebnis: Positiv! Damit würde der erste Einsatz des neuen Jugendwagens direkt seine Feuertaufe werden – 500 km durch Deutschland nach Goslar und zurück am 1. Dezember 2012.

  • Damit machte er den Heckeneilzug zur längsten Garnitur, die jemals von der LEL als Reisezug gefahren worden war: Sechs vierachsige Personenwagen, die sich auf der Überführung von Bösingfeld nach Farmbeck kaum von der V 65 die starken Alverdisser Steigungen hochbefördern ließen. Das neue Dieselaggregat lief zur Zufriedenheit des Zugpersonals anstandslos durch, schluckte allerdings weit mehr Kraftstoff als vorausgesehen. Doch die dadurch notwendige Betankung konnte bequem während der Fahrt ausgeführt werden und der neue Wagen spielte damit sämtliche Vorteile aus. Einzig zu warm wurde es in der Umgebung des Generators; hier würde man noch nachbessern müssen.

  • Zurück im Extertal begann Anfang 2013 die nächste Stufe des Innenausbaus. Bereits anderthalb Jahre zuvor hatte die Architektin Johanna Günkel aus dem Büro alberts.architekten die detaillierte Planung vorgestellt, wie das Innere des rollenden Jugendzentrums einmal aussehen sollte. Das LEL-Tischlerteam hatte bereits gute Vorarbeit geleistet und den Waggon weitgehend mit Holzplatten verkleidet. Diese Arbeit sollte nun insbesondere um die elektrischen Installationen ergänzt werden. Außerdem sollte endlich der neue Fußboden verlegt und das Aggregat endgültig verkleidet werden. Türrahmen und andere Blechteile erhielten einen gründlichen Rostschutzanstrich.

    Außen werkelten derweil die LEL-Aktiven an einigen Punkten weiter, die sich in Goslar als nachbesserungsbedürftig erwiesen hatten. So wurden zusätzliche Lüftungsgitter eingebaut, um die Abwärme des Generators direkt nach außen führen zu können. Unter dem Wagen fand außerdem in einer fachmännischen Rahmenkonstruktion ein zusätzlicher 250-Liter-Tank Platz, der zukünftig auch das Nachtanken des Generators auf längeren Fahrten überflüssig machen würde. Auch die flaschengrüne Endlackierung konnte jetzt, nachdem alle bisherigen Flickstellen verschwunden waren, in Angriff genommen werden.

    Auf der „Rintelner Seite“, also dem Wagenende, das zukünftig auf LEL-Fahrten am Zugschluss laufen würde, fanden außerdem zwei elektrische Schlussleuchten Platz, die an der aufgearbeiteten E 22 nicht mehr benötigt wurden. Zwar ist das nicht wirklich original, im Interesse der Sicherheit bei Nachtfahrten insbesondere auf fremdem Netz aber durchaus von Vorteil.

  • Neuer Fixpunkt für alle Beteiligten war nun das große LEL-Bahnhofsfest am 25. August 2013. Zu diesem Termin, an dem neben Schirmherrn Friedel Heuwinkel auch weitere politische Prominenz und insbesondere viele Sponsoren eingeladen waren, sollte der Waggon offiziell der Öffentlichkeit präsentiert und dem Jugendprojekt übergeben werden. Bis dahin war allerdings noch viel zu tun. Der eigentlich schon für Anfang des Jahres zugesagte Ausbau des Innenraumes durch das Westfälische Kinderdorf Lipperland e.V. verzögerte sich bis in die ersten Augustwochen. Dafür packten dann aber auch gleich viele Hände mit an und in wenigen Tagen waren Fußboden, Wandverkleidungen, Licht- und Strominstallationen sowie der Deckenanstrich fertig. Die LEL-Aktiven brachten schließlich noch alle betrieblichen Beschriftungen auf den Seitenwänden an, einschließlich des Hinweises auf den neuen Wagenpaten, den Kreis Lippe.

    Pünktlich zum Termin stand der Wagen dann präsentationsbereit auf dem Werkstattgleis der VBE, als über eine eigens gefertigte Rampe die Ehrengäste unter Begleitung von Aktiven und Jugendlichen der LEL eintreten und sich vom Fortschritt der Arbeiten überzeugen konnten. Eingeweiht wurde der multifunktionale Wagen übrigens schon eine Stunde vorher, als darin ein Kindergottesdienst stattfand.

  • Schlusspunkt der Aktionen um den Jugendwagen war das Wochenende 7./8. September 2013. Am Samstag fand in Bösingfeld das große Aufräumen statt; alle nicht mehr benötigten Werkzeuge und Ersatzteile fanden den Weg aus den Gerümpelecken des Wagens in die LEL-Werkstatt zurück. Der Wagen wurde besenrein für die Überführung in seinen neuen Heimatbahnhof Farmbeck bereitgestellt, die am folgenden Sonntag erfolgte. Anlässlich der an diesem Wochenende stattfindenden Lippertage in Dörentrup bot es sich an, dort mit dem kurzen Überführungszug Station zu machen. Die Vertreter von „Jugend unter Dampf“ präsentierten sich und ihren Wagen publikumswirksam direkt am Bahnübergang Mittelstraße und dahinter bot das Betriebspersonal Führerstandsmitfahrten auf der V 65 im Bahnhof Dörentrup an. Begleitet von relativ gutem Septemberwetter bestand an dieser spontanen Aktion doch recht großes Interesse und so bauten die beteiligten Aktiven am Nachmittag zufrieden ihre Sachen wieder ab. Der Jugendwagen wurde im Anschluss in das Gleis 2 des Bahnhofs Farmbeck rangiert und wird nun zunächst noch für die Endarbeiten im Innenraum, danach aber endlich für seine eigentliche Zweckbestimmung, der Nutzung als rollendes Jugendzentrum, zur Verfügung stehen. Die LEL-Aktiven, die am Ende doch viel mehr Arbeit als geplant in das Projekt gesteckt hatten, hoffen, dass es das entsprechende Interesse bei den Jugendlichen findet.

  • Raphael und Golo Kahlert im September 2013